Ankommen in der Kita – Die Bedeutung der Eingewöhnungszeit

Veröffentlicht amNovember 28, 2025

Ankommen in der Kita – Die Bedeutung der Eingewöhnungszeit

Die Eingewöhnungszeit in der Kita ist weit mehr als ein organisatorischer Start – sie ist ein sensibler Beziehungsprozess, in dem Vertrauen, Nähe und Mitgestaltung im Mittelpunkt stehen. Nicht starre Abläufe, sondern achtsame Begleitung geben Kindern die Sicherheit, die sie brauchen, um mutig Neues zu entdecken. Wenn Eltern und pädagogische Fachkräfte als Partner zusammenwirken, entsteht ein stabiles Fundament, auf dem Selbstvertrauen, Bindung und Lernfreude wachsen können.

Stell dir vor, du gehst auf große Reise. Dein Lieblingsmensch begleitet dich zum Flughafen. Auf dem Weg hörst du: „Das wird spannend, du wirst so vieles erleben.“ Du bist neugierig, ein wenig aufgeregt, steigst ins Flugzeug, und nach der Landung öffnet sich eine neue Welt – Gerüche, Stimmen, Orte, die du nicht kennst. Zunächst ist dein Lieblingsmensch an deiner Seite, bis er schließlich sagt: „Ich muss jetzt gehen. Du schaffst das. Ich hole dich wieder ab.“

Was würdest du fühlen? Was würdest du brauchen, um dich sicher zu fühlen – Halt, Orientierung, Nähe?

Diese Vorstellung kommt der Situation vieler Kinder erstaunlich nahe, die das erste Mal in eine Kita oder Krippe gehen. Auch sie betreten eine neue, komplexe Welt. Sie kennen die Räume, die Menschen und die Abläufe nicht. Gerade deshalb ist die Eingewöhnungszeit eine der bedeutendsten Phasen ihres frühen Bildungsweges: Sie entscheidet mit darüber, ob sich ein Kind emotional sicher, zugehörig und angenommen fühlt.

Warum diese Phase so prägend ist

Studien wie die „Wiener Krippenstudie“ (Ahnert, 2010) zeigen, dass Kinder, deren Eingewöhnung unzureichend begleitet wird, nachweislich erhöhte Cortisolwerte haben – ein Zeichen für Dauerstress. Stress reguliert sich langfristig nur dann, wenn Kinder sich an sichere Bindungspersonen anlehnen können. Kommen sie ohne emotionales Sicherheitsnetz an, bedeutet das für sie nicht bloß Aufregung, sondern für ihr System echten Überlebensstress.

Umso wichtiger ist eine feinfühlige, kind- und familienorientierte Begleitung. Eine Eingewöhnung, die Eltern und Kinder gleichermaßen in den Blick nimmt, schafft Sicherheit und Vertrauen. Die emotionale Qualität dieser Zeit prägt nicht nur den Start in die Kita, sondern auch die Beziehungsfähigkeit und das Selbstvertrauen des Kindes.

Partizipatorische Eingewöhnung als Haltung

Die partizipatorische Eingewöhnung nach Alamzadeh (2021) stellt das Miteinander von Kind, Eltern und Fachkräften konsequent in den Mittelpunkt. Sie betont Mitbestimmung, Transparenz und Kooperation von Anfang an. Kinder werden nicht nur „eingewöhnt“, sondern aktiv in das Geschehen einbezogen – durch Rituale, Routinen und dialogische Begleitung.

Alamazeh formuliert Eingewöhnung als gemeinsames Aushandeln von Sicherheit, Nähe und Autonomie. Eltern erleben sich dabei als kompetente Begleiter ihrer Kinder, und pädagogische Fachkräfte werden zu Brückenbauerinnen, die Übergänge relational gestalten, nicht organisatorisch abarbeiten. Diese Haltung schützt Kinder vor Überforderung und unterstützt Eltern darin, mit Ruhe und Vertrauen loszulassen – Schritt für Schritt und in gemeinsam getragenem Tempo.

Emotionen wahrnehmen – Bedürfnisse erkennen

Der Übergang von zu Hause in die Kita löst ein ganzes Spektrum an Gefühlen aus: Neugier, Angst, Freude, Trauer, Wut oder Unsicherheit. Diese Emotionen sind Ausdruck unsichtbarer innerer Prozesse. Lea Wedewardt (2024) erinnert in „Ankommen dürfen statt loslassen müssen“ daran, dass Bindung und Vertrauen nicht durch Loslassen, sondern durch Ankommen entstehen. Kinder lernen, sich zu lösen, wenn sie spüren, dass sie gehalten sind.

Das zu begleiten, erfordert von pädagogischen Fachkräften eine hohe Sensibilität. Gefühle der Eltern – etwa Unsicherheit oder Schuld – spiegeln oft die Trennungsgefühle des Kindes wider. Fachkräfte, die diese Emotionen annehmen und benennen, ermöglichen Orientierung, Resonanz und emotionale Entlastung. So wird aus Distanz ein gemeinsamer Prozess des Wachsens.

Eingewöhnung braucht Individualität und Zeit

Eingewöhnung folgt keiner geraden Linie. Kinder machen Fortschritte, bauen Rückhalt auf, erleben Rückfälle – und das ist normal. Rückschritte sind keine Fehler, sondern Zeichen innerer Verarbeitung.
Modelle wie das Berliner oder Münchner Eingewöhnungsmodell können sinnvoll strukturieren, müssen aber flexibel interpretiert werden. Entscheidend ist das feine Wahrnehmen der kindlichen Signale und das Vertrauen in die Dynamik des Prozesses.

Wenn Eltern als Experten für ihr Kind aktiv eingebunden werden, entsteht eine tragfähige Kooperation. Fragen wie „Was denken Sie, ist Ihr Kind heute bereit für eine kurze Trennung?“ laden ein zur gemeinsamen Beobachtung statt zur Vorgabe. Das entlastet Eltern, stärkt ihre Selbstwirksamkeit und vermittelt dem Kind: Hier sind alle gemeinsam für mich da.

Ziel einer gelingenden Eingewöhnung

Eingewöhnung gelingt, wenn sich Kinder, Eltern und Fachkräfte sicher, gesehen und verstanden fühlen. Es geht nicht darum, Tränen zu vermeiden, sondern darum, sie begleiten zu können. Denn Tränen sind kein Zeichen von Versagen, sondern Ausdruck gelebter Bindung.

Eine Haltung, die vom „Ankommen dürfen“ statt vom „Loslassen müssen“ ausgeht, verändert den Blick: Kinder werden nicht gedrängt, sondern empfangen. Eltern werden nicht belehrt, sondern beteiligt. Fachkräfte werden nicht zu „Umsetzerinnen von Modellen“, sondern zu Vertrauenspersonen.

Zeitdruck, starre Abläufe oder Leistungsdenken hemmen dieses Ankommen. Beziehung braucht Raum – und genau das sollte die Eingewöhnungszeit bieten. So entsteht ein Gefühl von Sicherheit, das weit über die ersten Wochen hinauswirkt.

Deine Bildungsexpertin Daniela Faller

Literatur:

  • Ahnert, L. (2010): Wiener Krippenstudie: Bindungsentwicklung und Stressregulation in außerfamiliärer Betreuung. Universität Wien.
  • Ahnert, L. (2015): Frühe Bindung. Entwicklung, Förderung und Qualität von Beziehungen in der Kindheit. München: Reinhardt.
  • Alamazeh, M. (2021): Partizipatorische Eingewöhnung – Ein ressourcenorientierter Ansatz für Fachkräfte und Familien. Freiburg: Herder.
  • Wedewardt, L. (2024): Ankommen dürfen statt loslassen müssen. Wie Beziehungen tragen, wenn Kinder sich lösen. München: Kailash Verlag.
  • Grossmann, K.E. & Grossmann, K. (2012): Bindungen – Das Gefüge psychischer Sicherheit. Stuttgart: Klett-Cotta.
  • Brazelton, T.B. & Greenspan, S.I. (2002): Die sieben Grundbedürfnisse von Kindern. Beltz.
  • Papoušek, M. (2004): Vom ersten Schrei zum ersten Wort. Die frühkindliche Entwicklung verstehen und fördern. München: Piper.
  • Kuno, B. (2017): Übergänge gestalten: Eingewöhnung professionell begleiten. Freiburg: Herder

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